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#163 – Die Warteschlangenformel am Beispiel einer Serviceabteilung

Über die Warteschlangenformel habe ich schon früher in einem Blogartikel geschrieben. Gelesen habe ich das erste mal davon im Buch „Schwarmmdumm: so blöd sind wir nur gemeinsam“ von Gunter Dueck.

Die Warteschlangenformel erklärt den Zusammenhang zwischen Auslastung einer Person und der zu erwartenden Warteschlange. Man kann sich diese Formel sehr gut am Beispiel einer Supermarktkasse verdeutlichen.  Ich habe mal ein Beispiel einer Serviceabteilung erfunden. Jede Ähnlichkeit mit wahren Begebenheiten wäre rein zufällig!
Es handelt sich bei dieser Formel um reine Mathematik, es hilft nichts zu diskutieren, die Mathematik ist gnadenlos. Seit ich diese Formel kenne, werden mir viele Ereignisse im Tagesablauf klarer und ich kenne die eigentliche Ursache hinter den Problemen im Alltag. Fast täglich werde ich mit dem Auslastungssyndrom und der Warteschlangenformel konfrontiert. Bevor die Geschichte startet, erkläre ich hier nochmal die Formel.

Die Anzahl der erwarteten Kunden an einer Kasse folgt der Formel 1:

erwartetekundenFormel 1

Hierbei ist Ke die Anzahl der erwarteten Kunden und A die Auslastung in Prozent. Bei einer Auslastung von 70% ergibt sich hier 0,7 / (1 – 0,7) = 2,33

Statistisch werden also bei einer Auslastung von 70% 2,33 Kunden erwartet. Diese Kunden kommen aber nicht kontinuierlich sondern statistisch verteilt. Die Länge der Warteschlange ergibt sich nach Formel 2:

warteschlange

Formel 2

Hierbei ist Ws die Länge der Warteschlange, A die Auslastung und Ke die erwarteten Kunden aus der Formel 1. Nehmen wir wieder 70% Auslastung so ergibt sich 0,7 * 2,33 = 1,63

Bei 70% Auslastung hat also die Warteschlange eine Länge von 1,63 im Durchschnitt. Wenn wir die Formel 1 in die Formel 2 einsetzen ergibt sich folgende resultierende Warteschlangenformel:

laenge-warteschlange

Die Warteschlangenformel

 

Verdeutlichen wir uns nochmals kurz die Folgen dieser Formel . Bei einer Auslastung von 70% warten bereits 1,63 Kunden oder Kollegen auf eine Antwort oder Reaktion von mir.

Beginnen wir nun mit meiner kleinen Geschichte ….

Es war einmal eine Serviceabteilung …

die hatte 18 Servicetechniker und einen Einsatzleiter. Im Durchschnitt dauerte der Einsatz eines Technikers ca. 5 Stunden und es wurden 20 Kunden pro Tag bedient. Die Durchschnittliche Auslastung eines Servicemitarbeiters lag bei 69% bezogen auf einen 8 Stunden Tag. (Kunden * Einsatzdauer / (Mitarbeiter * Arbeitszeit) )

Setzt man die 69% Auslastung in die Warteschlangenformel ein, so ergibt sich eine Warteschlange von 1,6 Kunden pro Servicemitarbeiter. Dies bedeutet, jeder Kunde kann praktisch sofort bedient werden. Dem Einsatzleiter gelingt es Serviceanforderungen schnell zu erfüllen.

Dem Kaufmann fiel nun irgendwann auf, dass die Servicemitarbeiter nicht ausgelastet sind. Es saßen immer wieder Servicemitarbeiter im Büro herum.Da herumsitzen nicht vom Kunden bezahlt wurde, musste die Auslastung erhöht werden.

In einem Optimierungsprogramm wurden von den 18 Mitarbeitern 3 Mitarbeiter abgebaut.  

Bei gleichem Serviceaufkommen (Anzahl der Kunden) erhöhte sich damit die Auslastung der Mitarbeiter auf  83%. Damit würde die Serviceabteilung wirtschaftlicher arbeiten. (So der Plan des Kaufmannes)
Diese 83% Auslastung erhöht die Warteschlange auf 4,2! Dies bedeutet, dass bereits mehr als 4 Kunden auf die Bearbeitung Ihrer Servicefälle warten. Es war eine logische Konsequenz, dass sich die Telefonate für den Einsatzleiter erhöhten. Die Telefonate sind proportional der Fälle pro Tag, nehmen aber zu, wenn die Warteschlange länger wird. Kunden rufen an, fragen wann der Servicemann kommt?
Der Einsatzleiter ist überlastet und kann nicht mehr alle Telefonate annehmen. Es kommt bereits am Telefon zu einer Warteschlange.

Für das nächste Geschäftsjahr wird deshalb ein zweiter Einsatzleiter eingestellt und ein weiterer Servicemitarbeiter abgebaut. (Schließlich sind 83% auch noch keine Auslastung – so der Kaufmann)
Die Auslastung der Servicemitarbeiter steigt auf 89%. Die Warteschlange verlängert sich auf 7,4!
Jeder Servicetechniker hat 7,4 Kunden die auf ihn warten. Die Anrufe bei der Leitstelle nehmen zu, die Kunden sind verärgert. Langjährige Kunden beschweren sich und drohen mit Konsequenzen.
Kluge Menschen (Kaufleute) führen jetzt einen dritten Einsatzleiter ein, der dringende Fälle oder wichtige Kunden mit Priorität behandeln soll. Damit sollen die langjährigen Kunden besser bedient werden.
Niemand erkennt die Ursache für die Probleme. Ein weiterer Servicemitarbeiter wird abgebaut. (Der Kaufmann ist mit 89% noch nicht zufrieden)
Endlich steigt die Auslastung der Servicetechniker auf 96%! Die Warteschlange verlängert sich auf 24!
Alles versinkt im Chaos. Die drei Einsatzleiter können das Telefon nicht mehr auflegen. Kunden schreien die Einsatzleiter an.  Die Telefonwarteschlange steigt ins unermessliche – der Service ist nicht mehr erreichbar.

Jetzt springen die Kunden ab und suchen Alternativen. Waren es bisher 20 Kunden pro Tag so sind es ab sofort nur noch 15!

Dadurch reduziert sich die Auslastung im kommenden Jahr auf 72%. Plötzlich verringert sich die Warteschlange wieder auf 1,9.  Leider rufen jetzt nicht mehr 20 Kunden an sondern nur noch 15. Die Einsatzleiter sind nicht mehr ausgelastet. (Niemand kann sich den plötzlichen Umschwung erklären, am allerwenigsten der Kaufmann)

Einer der Einsatzleiter wird jetzt zum Vertriebsmann umgeschult und soll Service und Serviceleistungen verkaufen. Drei weitere Servicemitarbeiter werden abgebaut.
Dadurch steigt die Auslastung wieder auf 94% und die Warteschlange wieder auf 14,1!
Die Einsatzleitung geht unter und ein dritter Mann wird wieder eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt springen weitere Kunden ab. Statt 15 rufen jetzt nur noch 10 an. Die anderen 10 Kunden suchen ihre Hilfe bei einer anderen Firma.

Wir halten fest:
Begonnen haben wir mit 20 Kunden pro Tag, einem Einsatzleiter und 18 Servicemitarbeiter.

Nach Jahren der Optimierung gibt es nur noch 10 Kunden, drei Einsatzleiter, ein Servicevertriebsmann und 10 Servicemitarbeiter.

Am Anfang haben 20 Kunden 19 Mitarbeiter bezahlen müssen am Ende der Optimierung müssen 10 Kunden 14 Mitarbeiter bezahlen.  Natürlich wurden die Stundensätze im Laufe der Jahre immer weiter erhöht.
Der Service ist schlechter geworden (Lange Wartezeiten, kein telefonisches Durchkommen, gestresste Techniker) und die Preise sind gestiegen.

Durch die Halbierung der Servicemitarbeiter ist bestimmtes Technologiewissen verloren gegangen. Es wird immer schwieriger den geeigneten Mitarbeiter auf den Einsatz zu Schicken. Hierdurch erhöht sich die Warteschlange weiter. Jeder Eingriff bringt zusätzliche Probleme.
Durch die Optimierung auf Auslastung ist die Serviceabteilung zum Problemfall geworden und man plant die Ausgliederung und Schließung der Abteilung.

Wer den falschen Fokus hat, zerstört etwas und merkt es nicht mal.

 

Dranbleiben – es gibt noch Hoffnung!